LKZ 17.10.2008

Posted by Rolf Beuchert Category: Konzertkritiken

15.11.2008 „Double Concerto“ von Gregor Hübner (UA)


Eine innovative Mischung aus Barock und Free Jazz
Auftragskomposition von Gregor Hübner kommt beim Rutesheimer Publikum gut an

Rutesheim. „Wenn man Stadt sein will, muss man auch etwas Neues wagen.“ Das betonte Bürgermeister Hofmann am Ende des Konzertes, zu dem auch die Uraufführung einer Auftragskomposition gehört: Double Concerto für Sopran-Saxophon, Violine und Orchester.

Von Gabriele Müller

Gregor Hübner, international bekannter Violinvirtuose und Mitglied der Gruppe Tango Five, ist der Komponist des Stücks, er spielt am Samstagabend auf einer Carbon-Violine. Die andere Hälfte des Doppelkonzert-Duos ist Klaus Graf, und Dritter im Bunde das Rutesheimer Kammerorchester unter Leitung von Rolf Beuchert. „Sie haben ihre Musiker gefordert und uns Zuhörer auch“, lobt das Stadtoberhaupt den Mut des musikalischen Leiters. Dass das Publikum in der fast voll besetzten Festhalle diese Herausforderung gerne angenommen hat, bekräftigen die Bravorufe und das Fußgetrappel, als die beiden Solisten sich verbeugen.
„What’s up“ überschreibt der Komponist den ersten der drei Sätze. Das trifft die Art und Weise, wie die Musik strukturiert und gegliedert ist. Kein durchlaufendes Metrum unterteilt hier eine Anzahl klingender Töne. Vielmehr reihen sich etliche, auf einen Höhepunkt zulaufende, Crescendo-Linien aneinander. Das Orchester besteht aus Streichern, sieben Bläsern und Pauken. Es webt ein Klanggespinst aus weichen, samtigen Tönen, und dieses warme Volumen erinnert ein wenig an den satten Sound einer Big Band.
Wie im Concerto des Barock wechseln auch in dieser als Doppelkonzert angelegten Komposition Passagen für Solisten und Tutti. Jazzig groovt Grafs Saxofon über einem ständig wiederholten Pattern, das die Klarinette spielt. Ein bisschen geklittert wirkt die musikalische Textur da manchmal – fast ein bisschen wie musikalischer Kubismus? Wieder intonieren die Streicher ihren weichen, vollen Klang. Da beginnt Hübners Violine ihren Weg über dem Klarinettenpattern, und das Zuhörer-Ohr hat den Eindruck, eher Farbwerte wahrzunehmen als tatsächlichen Tonhöhenverläufen zu folgen.
Dass bei dieser „handgemachten“ Musik dennoch die Elektronik eine Rolle spielt, wird spätestens klar, als das Pattern wie aus dem Off erklingt und Hübner dazu improvisiert, als spiele er selbst mit sich um die Wette. „What’s up“ endet ubrupt, wie abgerissen. Sanft und fragend geht es weiter. Beruhigend sind die homogenen Streicherlinien und das Duo spielt – diesmal gleichzeitig mit dem Orchester – balladesk. Da nimmt die Musik eine unerwartete Wendung, wird spannungsgeladen, fast bedrohlich. Hübners Solo klingt jetzt ein wenig nach Zigeunergeige. Schnelle, nervöse Läufe und unbarmherzige Chromatik geben dem dritten Satz ein dem Free Jazz verwandtes Gepräge, und gilfende Klangakzente rufen Unbehagen hervor. Zum Schluss fließt wieder der samtige Klang des ersten Satzes, blitzt das markante Anfangsmotiv auf. Nun ist die formale Klammer geschlossen. … Das Publikum applaudiert mit zunehmender Begeisterung.
Dass „The unanswered question“ von Charles Ives Hübners Stück vorangegangen ist, war eine kluge Entscheidung. Ohren, die sonst eher die Harmonien der Wiener Klassik oder der deutschen Romantik gewöhnt sind, können sich auf diese Weise behutsam auf andere, ungewohnte Klangtexturen einstellen. Ives hat seine „unbeantwortete Frage“ 1906 komponiert, uraufgeführt wurde sie erst 1941. Bedrückend ist der von den Streichern feinfädig gesponnene Anfangsstrom, „die Stille“, deren fast unmerkliches Vibrieren einen Eindruck von unwirklicher Helligkeit und Weite vermittelt. In diesen Klangraum platzieren die Bläser Farbareale, und die Trompete stellt immer wieder die – musikalisch leicht wiedererkennbare – Frage: die „Seinsfrage“. … Anfangs sticht sie etwas knallig aus dem ansonsten bemerkenswert sensibel intonierten Tongespinst, bei den späteren Wiederholungen ist die Klanggestalt homogener. Die „Entgegnungen“ der Bläser bekommen zunehmend zackigere Strukturen. Ohne echte Antwort verhallt schließlich die letzte fragende Wendung.
Ein Gefühl von entspannter Leichtigkeit und unangestrengter Harmonie stellt sich schließlich bei Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr.1 C-Dur (op.21) ein, die das Rutesheimer Kammerorchester nach der Pause spielt. Diesmal in großer Besetzung, und die lebendige Agogik bringt Vorstellung und Verarbeitung der beiden gegensätzlichen Themen im ersten Satz gut zum Vorschein. Dem zweiten Satz fehlt es anfangs noch ein wenig an galanter Leichtigkeit und Transparenz, insgesamt wird das gemessene Tempo jedoch gut durchgehalten, und der Klang gewinnt durch die zunehmende Leichtigkeit des Streicherspiels. Schön trifft das Ensemble den überschäumenden Charakter des dritten Satzes, der zugleich durch die gut hörbare Trompete ein festliches Gepräge besitzt. Überzeugend gelingt er vierte Satz mit flinken Streichern, schönen Akzentuierungen und einem homogenen, atmenden, ebenmäßig gespielten Schwung.

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